Prekäre Gesundheits- und Lebensmittelversorgung
In einigen Regionen gibt es andere Krankheiten, welche die Bevölkerung plagen, zum Beispiel das Denguefieber im Projektgebiet Caquetá. Das Gesundheitssystem, insbesondere in den ländlichen Regionen, kann weder auf die Pandemie noch auf die anderen Krankheiten reagieren. Medizinisches Personal tritt zurück, weil selbst minimale Standards, um sich selbst zu schützen, nicht vorhanden sind – aber auch, weil es sein Gehalt nicht erhält.
Die Massnahmen der Regierung sind unzureichend. Es profitieren die Banken und die grossen Unternehmen. Die Hilfe für den Agrarsektor geht an agro-industrielle Betriebe, nur ein minimaler Anteil geht an die Kleinbauernfamilien, die am bedürftigsten sind. Der Import von Millionen Tonnen Sorghum, Mais und Soja wird verordnet, die Lebensmittelpreise werden erhöht. Gleichzeitig werden den Bauern und Bäuerinnen ihre Produktion nicht abgekauft.
Regierung und Wirtschaftsvertreter missachten Menschenrechte
Korruption und Politik schaffen sich neue Freiräume. Während des Ausnahmezustands hat die Regierung zahlreiche Dekrete verabschiedet, ohne dass die Zivilgesellschaft sie kontrollieren konnte. So wurden zum Beispiel Umweltlizenzen für Rohstoffabbau-Projekte beschleunigt abgegeben. Damit wurde das Recht auf Mitsprache der betroffenen Bevölkerung grob verletzt.
Da die Bevölkerung aktuell wegen der Ausgangssperre nicht protestieren kann, nutzt die Regierung auch die Möglichkeit, Massnahmen wie das Versprühen von Glyphosat aus der Luft wieder einzuführen. Bei Wind weht es auch immer wieder giftige Unkrautvertilger auf die angrenzenden Felder der Kleinbäuerinnen und Bauern, die agrarökologische Landwirtschaft betreiben. Damit ist nicht nur die Lebensmittelproduktion der betroffenen Familien in Gefahr, sie verlieren auch ihr Einkommen, weil sie ihre Produkte nicht als biologisch verkaufen können.
Ermordung von Führungspersönlichkeiten geht weiter
Es grassiert zudem eine weitere Pandemie, die von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet wird und gegen die die Regierung keine wirksamen Massnahmen trifft: Die Ermordung politisch und gesellschaftlich engagierter Führungskräfte. Männer und Frauen, die ihre Stimme erheben, um ihre Rechte und die Rechte aller Kolumbianer/innen zu verteidigen. Aktivist/innen, welche das Leben und die Natur schützen wollen. Menschen, die nicht die vom Staat verordneten wirtschaftlichen Interessen verfolgen.
Indepaz, das Institut für Studien über Entwicklung und Frieden, berichtet, dass zwischen dem 1. Januar und dem 5. Mai dieses Jahres in Kolumbien mindestens 95 Personen ermordet wurden. Und die Medien meldeten, dass trotz der Ausgangssperre seit dem 23. März 19 Personen umkamen. Am meisten betroffen ist das Departement Cauca, in dem die Fastenaktion-Partnerorganisationen Atucsara, Censat und Semillas de Agua arbeiten.
Die Corona-Krise hat in Kolumbien die bestehenden Probleme wieder in aller Deutlichkeit offengelegt. Die Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung, die bereits vor der Pandemie unter massiven Menschenrechtsverletzungen litt, wird weiterhin mit desolaten Aussichten konfrontiert.
Bis zum 18. Mai 2020 wurden in Kolumbien 15’574 Ansteckungen bestätigt und es gab bisher 574 Todesfälle – die Kurve scheint sich nun abzuflachen.