Lucrezia Meier-Schatz (73) ist Präsidentin des Stiftungsforums von Fastenaktion, ehemalige Nationalrätin und sitzt für die Entwicklungsorganisation im Initiativkomitee der zweiten Konzernverantwortungsinitiative. Deren Unterschriftensammlung läuft seit dem 7. Januar.
Weshalb engagiert sich Fastenaktion für die zweite Konzernverantwortungsinitiative?
Weil die Förderung von Menschenrechten ein fester Bestandteil unserer Arbeit im Globalen Süden ist. Dazu gehört auch, dass wir Konzerne zur Rechenschaft ziehen, die Menschenrechte und international festgelegte Umweltstandards verletzen. Fastenaktion gehörte 2020 zu den Trägerorganisationen der ersten Konzernverantwortungsinitiative und setzte sich für die Initiative und gegen den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments ein. Damals wollten die Gegner und Gegnerinnen der Initiative den Alleingang der Schweiz verhindern. Nachdem die EU letztes Jahr die Konzernverantwortungsrichtlinie in Kraft gesetzt hat, droht nun genau ein solcher Alleingang. Die Schweiz muss nachziehen. Daher braucht es Druck, auch von den kirchlichen Organisationen, also auch von uns.
Das Hauptanliegen von Fastenaktion ist es, weltweit den Hunger zu beenden. Was hat Konzernverantwortung damit zu tun?
Sehr viel. In allen unseren Programmländern sind Grosskonzerne aktiv und zerstören mit ihren Produktionsmethoden langfristig den Boden und die Gewässer der lokalen Bevölkerung. Einige setzen beispielsweise nicht nur Pestizide ein, sondern zwingen den kleinbäuerlichen Familien ihr verändertes Saatgut auf. Nur wer diese modernen, hybriden Sorten nutzt, kann seine Produkte verkaufen. Das traditionelle Saatgut wird dadurch von den Feldern verdrängt, was die Vielfalt reduziert und eine Bedrohung für die Ernährungssouveränität der lokalen Bevölkerung darstellt. Denn diese Entwicklung treibt die Nahrungsmittelpreise in die Höhe, so dass die Ärmsten sich die Lebensmittel noch weniger leisten können.
Fastenaktion setzt sich für Ernährungssicherheit und Gerechtigkeit ein und leistet so mit ihren Partnern vor Ort einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Hunger und Armut. David gegen Goliath? Vielleicht, denn 97 Prozent aller Saatgut-Patente, auch solche auf traditionell gezüchteten Sorten, befinden sich in den Händen von Unternehmen aus Industrieländern, obwohl 90 Prozent der biologischen Ressourcen aus dem Süden stammen. Dennoch müssen wir den Kampf aufnehmen. Auch angesichts der enormen Umweltschäden, die internationale Konzerne beim Abbau von Rohstoffen anrichten. Die Schadstoffe, die dabei entstehen, vergiften Felder, gefährden die Gewässer und die Luft und somit die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Nur wenn die Grosskonzerne für all dies die Verantwortung übernehmen müssen, wird sich etwas ändern.
Was erhofft Fastenaktion sich von dieser Initiative?
Wir wollen mit unserem Engagement den Druck auf die Politik erhöhen, damit die Schweiz nicht einmal mehr im Abseits steht. Es braucht auch in unserem Land eine ausreichende Regulierung, die die Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichtet, die Menschenrechte und die Umweltstandards einzuhalten. Tun sie dies nicht, müssen sie zur Rechenschaft gezogen werden, wie dies nun in der EU der Fall ist. Eigentlich verlangen wir etwas Selbstverständliches.
Gibt es auch im Hinblick auf die christliche Sozialethik Gründe, die Initiative zu unterstützen?
Oh ja, ganz viele! Das fängt an bei den biblischen Grundlagen der Würde des Menschen, der Hinwendung zu den Armen und Benachteiligten (Mt 25, 35-40) und der Schöpfungsverantwortung, die eigentliche theologische Grundlage für die Nachhaltigkeit (Genesis 1,27 resp. 2,15). Hinzu kommen die christlichen Prinzipien der Solidarität, des Gemeinwohls (Röm 13, 8-10), der Subsidiarität sowie der Gerechtigkeit, welche zentrale Anliegen der christlichen Soziallehre sind. Nach dem christlich-ethischen Verständnis muss wirtschaftliches Handeln auf das Wohl der Bevölkerung und der kommenden Generationen ausgerichtet sein. Die reine Profitgier wird abgelehnt, und Unternehmen sind klar aufgefordert, eine Verantwortung gegenüber Menschen, Gesellschaft und Umwelt einzunehmen.
Ein kongolesischer Minenarbeiter in der Provinz Katanga hält Kupfererz in der Hand – ein unverzichtbarer Rohstoff für elektronische Geräte.
Fastenaktion hat sich schon für die erste Initiative eingesetzt, die 2020 am Ständemehr gescheitert ist. Weshalb sollte das nur wenige Jahre später anders sein?
Weil sich seither einiges geändert hat. Insbesondere ist mit der neuen EU-Richtlinie das Hauptargument der damaligen Gegnerinnen und Gegner weggefallen. Diese sagten, sie seien grundsätzlich nicht dagegen, wollten aber keinen Alleingang der Schweiz. Doch wenn wir nun nicht handeln, werden wir europaweit das einzige Land ohne griffige Massnahmen sein. Eigentlich müssten sich auch jene heute für die Initiative einsetzen, die damals dagegen waren.
Erhoffen Sie sich als frühere CVP-Nationalrätin, mit Ihrem aktiven Engagement diesmal auch mehr bürgerlich geprägte Kantone zu überzeugen?
Es braucht das Engagement vieler, in allen Landesteilen und aus möglichst unterschiedlichen Kreisen. Überzeugungsarbeit ist gefordert, um den Abstimmungskampf zu gewinnen. Wir vom Initiativkomitee hoffen, die 100‘000 Unterschriften möglichst schnell zu sammeln, um so den Druck auf die Politik zu erhöhen. Je grösser der ist, desto eher handeln die Räte. Wenn auch sie einsehen, dass wir nicht einmal mehr im Abseits stehen und uns unnötig der internationalen Kritik aussetzen sollten, braucht es am Ende vielleicht gar keine Abstimmung.