Seit bald 30 Jahren bekämpfen sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) verschiedene Gruppen aus unterschiedlichen Gründen. Die Folgen: Rund sechs Millionen Tote und über 6,5 Millionen Vertriebene innerhalb des Landes – eine halbe Million allein 2023. Ein Viertel der Bevölkerung von rund 100 Millionen leidet unter Hunger und Unterernährung.
Die aktuellen Ursachen der Krise sind vielfältig. «Im Osten des Landes gibt es viele wirtschaftlich wichtige Mineralien, die Begehrlichkeiten von aussen wecken», sagt Germain Nyembo, Koordinator von Fastenaktion in der DR Kongo, der zudem seit mehreren Jahren an Friedensprojekten im Ost-Kongo arbeitet. «Hinzu kommen schlechte Regierungsführung, institutionalisierte Korruption, verschiedene Diskriminierungen, Gewalt sowie das Fehlen eines offenen Dialogs mit Nachbarländern, die sich Ressourcen aus unserem Land aneignen und dabei bewaffnete Gruppen unterstützen.»
Rivalitäten zwischen Hutu und Tutsi
Die historischen Wurzeln der Krise hingegen liegen in den Rivalitäten zwischen den Ethnien der Hutu und der Tutsi. Während der besonders fürchterlichen belgischen Kolonialisierung wurden nicht nur über 10 Millionen Menschen getötet. Die Kolonialherren schürten zudem die Rivalitäten zwischen den beiden Ethnien, indem sie den Tutsi Leitungsaufgaben zusprachen. Im Jahr 1994 kam es schliesslich im östlichen Nachbarland Ruanda zu einem Völkermord, bei dem extremistische Hutu innert drei Monaten über 800‘000 Tutsi und moderate Hutu umbrachten. Knapp zwei Millionen Hutu flüchteten über die Grenze in die Republik Zaire (wie DR Kongo damals noch hiess) und siedelten sich in Flüchtlingscamps in Nord- und Süd-Kivu an.
Dadurch weitete der Konflikt in Ruanda sich auf das Nachbarland aus, was zu zwei grossen Kriegen führte, in denen einige Nachbarländer die DR Kongo unterstützen, einige die neue ruandische Regierung unter Präsident Paul Kagame. Dieser argumentierte stets, seinem Land drohe weiterhin Gefahr seitens extremistischer Hutu-Milizen im Osten Kongos.
Obwohl der Zweite Kongo-Krieg 2002 mit einem Friedensabkommen beendet wurde, blieb der Osten des Landes unruhig. Schon bald bildeten sich neue Rebellengruppen – die bekannteste heisst M23, besteht primär aus ethnischen Tutsis und erlangte ab 2012 machtpolitische Bedeutung. Weil M23 laut Uno-Analysen von der ruandischen Regierung unterstützt wird, bleibt das Verhältnis zwischen den beiden Ländern bis heute schwierig.
Gier nach wertvollen Rohstoffen
Ergänzend zu dieser komplexen politischen Gemengelage gewannen wirtschaftliche Interessen ab den 2000er-Jahren immer mehr an Bedeutung und verschärften die Krise. Im Boden der DR Kongo lagern die grössten Reserven der Welt an seltenen Erden und Metallen, die für die Produktion von Smartphones, Computern und Elektroautos zwingend notwendig sind: etwa Kobalt, Coltan, Kupfer, Uran oder Zink. Diese wertvollen natürlichen Ressourcen befinden sich zu grossen Teilen im Osten des Landes. Und zu den diversen lokalen Interessensgruppen, die davon profitieren wollen, kommen noch internationale Geschäftsinteressen hinzu.
Zu Beginn waren vor allem amerikanische Konzerne im Besitz der Minen, heute haben chinesische Firmen weitgehend übernommen. Aber auch die Schweizer Firma Glencore betreibt noch zwei grosse Minen im Land. Die kongolesische Armee kam schon mehrfach zum Einsatz, um chinesische Geschäftsinteressen zu schützen. China wiederum hilft der kongolesischen Regierung mit Drohnen und anderen Waffen, die lokalen Rebellengruppen zu bekämpfen. Hinzu kommen Korruptionsvorwürfe, etwa dass die Chinesen sich die Schürfrechte im Kongo dank Schmiergeld an die Kabila-Regierung sicherten.
Ende 2021 flammte der Konflikt mit Ruanda erneut auf, als die M23-Gruppe nach einigen Jahren Ruhe die Kontrolle über weite Teile von Nord-Kivu erkämpfte – laut der kongolesischen Regierung und der Uno mit finanzieller und logistischer Unterstützung von Ruanda. Dessen Regierung der DR Kongo wiederum vorwirft, erneut extremistische Hutu zu stärken. Gleichzeitig haben Ruanda und andere Nachbarländer, die Milizen im Kongo unterstützen, finanzielle Anteile an den Minen dort.
Wo bleibt die internationale Gemeinschaft?
Mittlerweile mischt auch der Islamische Staat im Ost-Kongo mit, und bisher sind alle Versuche gescheitert, die rivalisierenden Gruppen zu einer anhaltenden Waffenruhe zu bewegen. Germain Nyembo hofft dennoch auf Besserung. «Es gibt einige diplomatische Bemühungen auf regionaler und internationaler Ebene, die Krise zu lösen. Zentral dafür wäre ein aufrichtiger Dialog mit Ruanda und Uganda unter Einbezug der internationalen Gemeinschaft.» Deren Aufmerksamkeit wird jedoch von anderen Krisen absorbiert, wie den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten.
«Wir empfinden dies als sehr ungerecht», sagt Germain. «Während die ganze Welt den russischen Angriff auf die Ukraine anprangert, scheint sich niemand für die vielen Toten, Vertriebenen und vergewaltigten Frauen im Ost-Kongo zu interessieren. Wird hier mit zweierlei Ellen gemessen?» Er fürchtet gar ein Komplott zur Aufspaltung des Landes. Teile der internationalen Gemeinschaft würden davon profitieren, darunter auch multinationale Konzerne, die von Ruanda und Uganda aus operierten.
«Vor allem aber fehlt der politische Wille der Machthaber», hält Germain fest. «Sie alle führen antidemokratische Regimes, gieren nach Macht und den Einnahmen aus den natürlichen Ressourcen im Kongo. Stattdessen müssten sie den Dialog und ein friedliches Zusammenleben zwischen unseren Ländern fördern. Mehr internationale Solidarität wäre dafür enorm hilfreich, denn letztlich kann nur eine politische Lösung zu einer dauerhaften Beruhigung führen.»