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Ole Timoi ist Mitbegründer der Organisation Dupoto-e-Maa, die sich seit 1993 für die indigene Gemeinschaft der Massai einsetzt.
Wie alt er ganz genau ist, weiss Ole Timoi nicht. «Es gibt keine Geburtsurkunde, aber laut meiner Familie wurde ich im November 1944 geboren.» Der langjährige Direktor der Entwicklungsorganisation Dupoto-e-Maa gehört den Massai an, einer indigenen Volksgruppe, die in Regionen Kenias und Tansanias beheimatet ist und zum Teil noch heute als Nomad:innen mit ihrem Vieh herumzieht. Doch im Laufe von Ole Timois langem Leben hat sich auch bei den Massai vieles verändert: «Heute gehen zwar 80 Prozent unserer Kinder zur Schule, doch wir haben viel weniger Land für unsere Tiere zur Verfügung als früher.»
Diese beiden Themen haben ihn jahrzehntelang beschäftigt. In seiner Jugend war es nicht selbstverständlich, dass Massai-Kinder die Schule besuchten. «Und wenn, dann höchstens ein paar Jahre, danach kümmerten sie sich um das Vieh oder die Familie.» Die Hirt:innen legten damals mit ihren Tieren weite Distanzen zurück auf einer riesigen Landfläche. «Heute ist der Radius viel kleiner, und nur noch wenige folgen den alten Traditionen.»
Helfen, den Rückstand aufzuholen
Er selbst ging zur Schule, wurde dann in einem Massai-Ritual zum Krieger und hätte sich anschliessend – wie damals üblich – um das Vieh seiner Familie kümmern sollen. «Aber wegen einer Dürre hatten die meisten Tiere nicht überlebt, also ging ich weiter zur Schule, was damals ziemlich ungewöhnlich war.» Ole Timoi wollte mehr lernen und besuchte auch noch die Universität. Derart gut ausgebildet, arbeitete er anschliessend für die Regierung in verschiedenen Teilen des Landes.
Dabei lernte er andere engagierte Menschen kennen, mit denen er schliesslich 1993 die Organisation Dupoto-e-Maa im Distrikt Kajiado im Süden Kenias gründete. «Wir realisierten, dass die Massai den Entwicklungen der modernen Welt hinterherhinkten. Und dass sie Unterstützung brauchen, um diesen Rückstand aufzuholen.» Ziel der Organisation ist die Stärkung der indigenen Gemeinschaft durch Bildung sowie die nachhaltige Nutzung des Landes, um die wirtschaftliche Situation und die Lebensbedingungen zu verbessern.
Ein besonderes Anliegen war Ole Timoi, dass auch Mädchen die Schule besuchen. «Wenn Mütter gebildet sind, ermutigen sie ihre Töchter, ebenfalls zur Schule zu gehen. Das verschafft ihnen viel mehr berufliche Möglichkeiten.» Zu Beginn brauchte dies bei den Eltern und den Ältesten eine gewisse Überzeugungsarbeit, erzählt er. «Aber weil wir Teil der Gemeinschaft waren, vertrauten uns die Menschen.» Die Schulbildung funktioniert heute sogar in abgelegenen Gegenden und gehört zu den grossen Erfolgsgeschichten von Dupoto-e-Maa.
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Unsere Landesprogrammkoordinatorin in Kenia, Stellamaris Mulaeh, bei einem Besuch der Partnerorganisation Dupoto-e-Maa.
Wichtige Rolle von Fastenaktion
Seit 2009 wird die Organisation von Fastenaktion unterstützt. «Sie spielt eine wichtige Rolle für unsere Erfolge», sagt Ole Timoi. «Erst durch sie lernten wir das Konzept der Solidaritätsgruppen kennen. Dank diesen können sich heute viel mehr Familien die Schulgebühren leisten – und sich ausserdem im Notfall günstig Geld für die Ernährung und andere lebenswichtige Ausgaben leihen.» Profitieren konnten sie auch vom Training in agrarökologischen Techniken. «Sehr hilfreich sind zudem die Vernetzung mit anderen Organisationen und die Unterstützung bei der Finanzierung unserer Programme.»
Ein Problem jedoch besteht weiterhin: die stets schrumpfende Landfläche. «Wer sein Land verkauft, erhält schnell eine Menge Geld, das ist natürlich verführerisch», erklärt Ole Timoi. «Doch dieses Geld ist schnell ausgegeben. Wir versuchen, die Menschen zu überzeugen, dass sie ihr Land behalten, darauf Nahrungsmittel produzieren und mit deren Verkauf Geld verdienen.»
Landverlust und Klimaerwärmung
In jüngeren Jahren riskierte Ole Timoi sogar Gefängnis wegen seines Engagements. «Wir wollten den Landverlust stoppen und demonstrierten gegen die Käufer:innen.» 1998 wurde er deswegen verhaftet und landete vor Gericht. «Aber dank eines guten Anwalts kam ich rasch wieder frei.» Ein anderes Problem ist die Klimaerwärmung. «Wir hatten schon früher lange Dürren, heute jedoch sind die Regenfälle viel unberechenbarer, was die Landwirtschaft erschwert und die Ernährungssicherheit gefährdet.» Mit dem richtigen Wissen könne diese Herausforderung aber durchaus gemanagt werden. «Auch hierbei hat uns Fastenaktion sehr geholfen.»
Im Vergleich zu früher sei Entwicklungsarbeit in Kenia heute etwas leichter, sagt Ole Timoi. «Es gibt mehr gebildete Menschen, mehr Alliierte, und auch die Regierung ist tendenziell offen für unsere Anliegen. Ihr fehlen nur meist die Ressourcen.» Parallel dazu hat auch bei den Massai die moderne Welt Einzug gehalten: «Die Menschen sind individualistischer und selbstbezogener geworden. Und auch unsere Jugend hängt ununterbrochen am Handy.»
Zu wenig Zeit zum Lesen
Er selbst lebt in einem Haus auf dem Land und besitzt auch eine Viehherde, um die sich aber andere gegen Bezahlung kümmern. Zudem hat er eine grosse Familie mit fünf Kindern und «mehr als zehn» Enkelkindern. «Und ich liebe Literatur und politische und technische Bücher, aber habe nicht genug Zeit, um alles zu lesen, was mich interessiert.» Denn trotz seines hohen Alters ist er immer noch bei Dupoto-e-Maa engagiert und wird dort für seine reiche Erfahrung sehr geschätzt und respektiert. «Wir versuchen, Möglichkeiten für die weniger Glücklichen zu schaffen – dazu will ich beitragen, solange ich kann.»