
Nicht immer einer Meinung: Bernd Nilles (links), Geschäftsleiter von Fastenaktion, und Mitte-Nationalrat Pius Kaufmann.
Im Grundsatz war sich die Runde einig: «Die Schweiz trägt eine grosse Verantwortung: Wir haben einen der grössten Bankenplätze der Welt und sind eine wichtige globale Rohstoffdrehscheibe», hielt Mitte-Nationalrat Pius Kaufmann fest. «Und die Stärke des Volks misst sich am Wohlergehen der Schwächsten.» Dennoch hatte auch Kaufmann Ende 2024 die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit im Parlament unterstützt, gegen die sich Fastenaktion mit anderen Hilfswerken gewehrt hatte.
Diese Kürzungen, gemeinsam mit den teils drastischen Sparmassnahmen anderer Länder im Entwicklungsbereich, waren der Anlass für die Podiumsdiskussion am 27. März. Organisiert hatten sie die Pfarreien Eich und Sempach, moderiert wurde sie von zwei Redaktionsmitgliedern der «Sempacher Woche». Warum also brauchte es diese Kürzungen, wollten sie von Kaufmann wissen.
«Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Sicherheitslage Europas grundsätzlich verändert», erklärte der Mitte-Nationalrat. Zudem seien die Beträge zuvor stark gestiegen: «1990 hat der Bund eine Milliarde Franken in die Entwicklungszusammenarbeit investiert, 2023 waren es 4,6 Milliarden.»
Weniger Geld für die Armen
Kaufmann betont jedoch, dass er anders gekürzt hätte: «Nur einmal für die ganze Vierjahresperiode des Entwicklungshilfe-Budgets, dann hätten die Hilfsorganisationen wenigstens Planungssicherheit gehabt. Nun droht jedes Jahr eine weitere Kürzung.» Er räumte zudem ein, dass die Schweiz eigentlich sogar mehr bezahlen müsste, da sie sich verpflichtet hat, gemäss Uno-Empfehlung 0.7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden.
Bernd Nilles widerspricht bei den Ausgabensteigerungen. Diese seien viel weniger gestiegen als es scheine, denn rund 2,1 Milliarden davon fliessen in den Asylbereich in der Schweiz, in die Unterstützung der Ukraine und in die Reduktion der Klimaerwärmung. «Für die Armen im Süden bleibt künftig viel weniger als bisher.»
Ein «unwürdiges Spiel»
Nilles illustrierte zudem, wie schwierig die Kürzung für Fastenaktion ist: «Es war ein turbulentes 2024. Wir finanzieren uns zwar mehrheitlich durch Spenden, aber jeder vierte Franken kommt vom Bund, in dessen Auftrag wir Projekte im Globalen Süden durchführen.» Fastenaktion muss wegen der Kürzung im Parlament rund 700‘000 Franken pro Jahr einsparen und deswegen unter anderem 2026 ihre Arbeit in Laos einstellen. «Es gab ein unwürdiges Spiel auf dem Buckel der Entwicklungszusammenarbeit im Parlament. Dabei haben einige Politiker:innen Wege aufgezeigt, wie es auch anders gehen könnte. Ich hoffe, dass dieses Bemühen nun weitergeht.»
Auch der Luzerner Alt-Kantonsrat Roger Zurbriggen betonte, wie wichtig es wäre, die Gelder für die Entwicklungshilfe zu fixieren, sonst erodiere dieser Betrag unweigerlich weiter. «Die Uno-Flüchtlingsorganisation UNHCR spricht sehr zutreffend von einer globalen Verantwortungskrise. Die Schweiz sollte dem entgegentreten.»

Ein kleinbäuerliches Paar in Laos bei der Arbeit in ihrem Reisfeld. Wegen den Sparmassnahmen des Bundes muss Fastenaktion ihre Arbeit in dem Land Ende 2026 leider einstellen.
Auf keinen Fall Trump folgen
Und dies nur schon aufgrund der christlichen Sozialethik, ergänzte Bernd Nilles. «Solidarität bedeutet zu teilen. Wer viel hat, trägt eine Verantwortung für die, die wenig haben. Dazu gehört auch, die Ursachen von Hunger und Armut zu erkennen und anzugehen.» Und da gebe es eine klare Schweizer Mitverantwortung. «Wir sind globalisiert, unseren Wohlstand haben wir nicht zuletzt auf Kosten anderer Teile der Welt. Und dieses Problem können wir nicht allein mit Entwicklungshilfe lösen.» Nilles plädierte ausserdem dafür, «nun auf keinen Fall Trump & Co zu folgen, die gute und wirksame Arbeit kaputt machen und Verantwortungslosigkeit provozieren wollen».
Pius Kaufmann wiederum verlangte, Entwicklungshilfeprojekte kritischer zu hinterfragen. «Natürlich gibt es viel Gutes, aber schaut man genauer hin, finden sich auch einige seltsame, unnötige Projekte – dieses Geld könnte man gescheiter ausgeben.» Solche Selbstkritik würde auch dabei helfen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es diese Ausgaben brauche. «Nur so kann Solidarität entstehen. Wir müssen bei politischen Entscheiden immer darauf achten, das Volk mitzunehmen.»
Bund darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen
Bernd Nilles konterte, er wolle dem «nur sanft widersprechen», denn es könne natürlich auch mal etwas nicht gelingen. «Aber gleichzeitig gehört die Entwicklungszusammenarbeit wohl zu der am meisten kontrollierten Branche überhaupt. Evaluationen zeigen, dass 80 Prozent der vom Bund finanzierten Projekte erfolgreich sind.» Und das heisse nicht, dass es die anderen 20 Prozent nicht brauche. «Sondern dass in chaotischen Ländern wie Sudan, Kongo oder Haiti unerwartete Konflikte oder Naturkatastrophen ein Projekt scheitern lassen können.»
Trotz allem: Die Schweizer Bevölkerung sei eine der solidarischsten der Welt, betonte Nilles. «Es wird wirklich viel gespendet, und wir sind sehr dankbar dafür. Aber der Bund darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Dass genug Geld vorhanden ist, zeigt sich jetzt gerade bei den enormen Überschüssen der Rechnungsabschlüsse von Bund, Kantonen und Gemeinden. Da frage ich mich schon, warum man gleichzeitig unsere Arbeit kaputtsparen will. Das kann ich auch niemandem im Süden erklären, wenn ich dort Projekte besuche.»

Eine riesige Mine im Südosten der Demokratischen Republik Kongo. Wegen mangelnder Konzernverantwortung multinationaler Unternehmen richtet dieser Rohstoffabbau in seiner Umgebung grosse Schäden an.
Auch Klima- und Konzernverantwortung
Die rund 40 Personen im Publikum erwiesen sich als sehr interessiert und stellten am Schluss Fragen, deren Diskussion problemlos zwei, drei weitere solche Veranstaltungen gefüllt hätte. Dazu gehörte die Anregung, zusätzliches Geld mit einer Finanztransaktionssteuer reinzuholen. «Da rennen Sie bei mir offene Türen ein», antwortete Pius Kaufmann. Die Finanzkommission des Nationalrats beschäftige sich damit auch bereits. «Da könnte man auf jeden Fall mehr machen.»
Roger Zurbriggen derweil sprach sich ebenso für mehr Konzernverantwortung aus wie Bernd Nilles: «Wenn wir Entwicklungszusammenarbeit ganzheitlich denken, bedeutet das eben auch Konzernverantwortung und eine verantwortliche Klimapolitik, sonst werden bald ganze Regionen dieser Welt unbewohnbar.» Dem widersprach auch Pius Kaufmann nicht. «Es gibt einen guten Leitsatz, an den wir uns halten sollten», sagte er zum Schluss. «Wir haben die Welt, auf der wir leben, nur von unseren Grosskindern gepachtet.»