Ricardo Espinosa und René Holenstein sind von der Projektarbeit vor Ort beeindruckt.
«Ich habe Kolumbien vor fast 63 Jahren verlassen – und konnte nur staunen, wieviel ich aus den 1960er-Jahren wiedergefunden habe», sagt Ricardo Espinosa, der selbst Kolumbianer ist und im Stiftungsrat von Fastenaktion sitzt. «Dieselben Bevölkerungsgruppen sind mit denselben Problemen konfrontiert: Ungleichheit, mangelnder Zugang zu Bildung und menschenwürdiger Arbeit mit stabilem Einkommen, mangelnder Zugang zu Land und Krediten – und weiterhin zu viel Gewalt und zu wenig Frieden und Sicherheit.»
Andererseits war der Experte für internationale Beziehungen und Menschenrechte auch «beeindruckt von der Arbeit von Fastenaktion in Kolumbien, die unter besonders widrigen Umständen stattfindet». Espinosa besuchte im Juli rund zehn Tage die Projekte von Fastenaktion in dem südamerikanischen Land, gemeinsam mit Stiftungsrat René Holenstein, ehemaliger leitender Mitarbeiter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie früherer Schweizer Botschafter.
Der Stiftungsrat von Fastenaktion
Der Stiftungsrat ist das strategische Führungsorgan von Fastenaktion. Er besteht derzeit aus elf Personen und wird vom Weihbischof Josef Stübi geleitet. Die meisten Mitglieder des mit vielseitigen Erfahrungen ausgerüsteten Gremiums haben einen entwicklungspolitischen, wissenschaftlichen, kirchlichen oder diplomatischen Hintergrund.
Eigenes Saatgut bedeutet Sicherheit
«Mich hat insbesondere der Kampf um die Erhaltung des traditionellen Saatguts beeindruckt», erklärt Holenstein. «Für viele indigene Gemeinschaften in Kolumbien ist Saatgut nicht nur landwirtschaftliche Ressource, sondern existenzielle Lebensgrundlage. Eigenes Saatgut bedeutet ein Stück Sicherheit: ökonomisch, ökologisch und sozial.» Und da die Familien die Samen selbst vermehren und weitergeben, bleiben sie unabhängig von Agrarkonzernen und Marktpreisen. «Das stärkt ihre Ernährungssouveränität und ist entscheidend im Kampf gegen den Hunger.»
Auch Stiftungsrat Jörg Balsiger hat neue Einsichten gewonnen. Der Professor für nachhaltige Entwicklung an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Genf war im April zwei Wochen in Nepal unterwegs. «Mich hat beeindruckt, wie abgelegen unsere Projekte dort liegen. Gestaunt habe ich auch über die vielen praktischen Hindernisse beim Reisen. Ich hätte erwartet, dass das Land nach mehr als einem halben Jahrhundert Entwicklungszusammenarbeit weiter ist.»
Jörg Balsiger (rechts im Bild) führte in Nepal viele Gespräche mit Einheimischen, um mehr über ihre Lebensrealitäten zu erfahren.
Expertise, Unwissenheit, Gier
Einige der Dörfer waren nur mit einem stundenlangen Fussmarsch erreichbar und übernachtet wurde in den einfachen Häusern lokaler Familien. «Wir haben also direkt miterlebt, wie verbreitet Mangel- und Unterernährung noch immer sind. Und in fast jeder Familie arbeitet ein Mann als Saisonnier in Indien.» Balsiger nutzte die Besuche für zahlreiche Gespräche. «Zusammenarbeit und Vertrauen sind sehr wichtig, um Fortschritte zu machen. Und es braucht viel Fingerspitzengefühl und die Expertise der lokalen Partner, um das heikle politische Umfeld erfolgreich zu navigieren.» Potenzial sieht er ausserdem darin, diese lokale Mobilisierung noch stärker in die regionale und nationale Politik zu tragen.
Aus Sicht von Ricardo Espinosa besteht die grösste Herausforderung in Kolumbien darin, die kleinbäuerlichen Gemeinschaften aus ihrer wirtschaftlichen und sozialen Isolation zu führen. «Indigene, Landwirt:innen oder Afrokolumbianer:innen werden zum Beispiel nach wie vor diskriminiert.» Wichtig sei es auch, die für Agrarökologie genutzten Landflächen weiter auszuweiten. «Derzeit sind es nur etwa 65’000 Hektar, während mehr als dreimal so viel für den Anbau von Kokablättern genutzt wird.» Veränderungen jedoch seien schwierig: «Da mischt sich die Unwissenheit eines grossen Teils der Bevölkerung mit der Gier der Reichen und der Eliten. Es bräuchte vor allem politische Lösungen.»
Unterstützung auf Augenhöhe
Die Erlebnisse vor Ort werden sich auch auf seine Arbeit im Stiftungsrat auswirken, sagt Espinosa: «Ich kehre sehr bewegt zurück, weil ich die täglichen Schwierigkeiten der Menschen hautnah miterlebt habe. Daran werde ich mich erinnern, wenn Entscheide im Stiftungsrat anstehen.» Auch René Holenstein nimmt viele Erkenntnisse mit von der Kolumbienreise. «Mich hat die Widerstandsfähigkeit der Bäuerinnen und Bauern beeindruckt. Und mir wurde erneut bewusst, wie existenziell die Ernährungsgrundlagen vieler Menschen heute durch Klimaerwärmung, Konflikte und wirtschaftliche Unsicherheit bedroht sind. Umso eindrücklicher war es zu erleben, wie Fastenaktion die Menschen auf Augenhöhe und in echter Partnerschaft unterstützt.»
Holenstein rät, sich vermehrt mit anderen Organisationen vor Ort und in der Schweiz zu vernetzen, um gemeinsam noch effektiver zu arbeiten. «Und wir müssen stärker gegen die wachsende Gleichgültigkeit ankämpfen. Heute nehmen viele das weltweite Hungerproblem kaum mehr wahr – umso wichtiger ist es, dranzubleiben und Überzeugungsarbeit zu leisten.»