
Marijóse hat in Workshops viel über alternative Zukunftsperspektiven gelernt.
María Josefa Yac Siquiná, kurz Marijóse, ist 41 und ledig. Das ist in Guatemala eher ungewöhnlich, erst recht in ihrer Familie und als Angehörige des indigenen Volks der Maya-Quiché. «Ich bin die Älteste von neun Geschwistern – und von den fünf Frauen die einzige Unverheiratete.» Der Hauptgrund dafür ist der im Land weit verbreitete Machismus. «Ich will nicht ausschliessen, dass auch ich irgendwann heirate, aber nur einen reifen Mann, der mich ergänzt – und der mich respektiert und akzeptiert, wie ich bin. Eine Ehe nur um die Form zu wahren, kommt für mich nicht in Frage.»
Und dies, obwohl der Druck seitens der Familie lange gross war, nicht nur bei diesem Thema. «Mein Vater hat mir mal gesagt, es gebe nichts, worauf er bei mir stolz sein könne», erzählt Marijóse. Bereits in der Kindheit und Jugend hat sie – wie auch ihre Mutter – durch ihn viele Demütigungen und sogar körperliche Gewalt erfahren. Dass sie all dies erfolgreich verarbeiten und daran sogar wachsen konnte, verdankt sie den Workshops der Asociación Qajb’al Q’ij, einer Partnerorganisation von Fastenaktion.
Workshops eröffneten neue Perspektiven
Marijóse lebt in der Gemeinde Almolonga im Südwesten Guatemalas. Ihr Vater ist Landwirt und Kaufmann, ihre Mutter Landwirtin, Weberin und Hausfrau, die Familie verfügte nur über geringe Mittel. Weil sie als älteste ihrer Geschwister auch die Rolle einer zweiten Mutter ausfüllen musste, konnte sie nur die ersten vier Jahre der Grundschule absolvieren, in der sie als Indigene noch dazu von Mitschüler:innen ausgegrenzt wurde.
2011 besuchte sie erstmals einen der Workshops, welche Qajb’al Q’ij speziell für junge Leute anbietet, um sie zu stärken und ihnen Zukunftsperspektiven in der Region aufzuzeigen. Marijóse blühte auf und engagierte sich so sehr, dass sie 2012 von der Organisation eingeladen wurde, Teil des Koordinationsteams zu werden. Dadurch besuchte sie weitere Kurse, in denen es unter anderem um Persönlichkeitsentwicklung und um die Stärkung ihrer Identität als Maya-Quiché-Frau ging.
Partnerorganisation CODECA stärkt Frauen
Fastenaktion arbeitet in Guatemala mit zahlreichen Partnerorganisationen zusammen. Zu ihnen gehört auch die indigene Kleinbauern- und Landarbeiterbewegung CODECA (Comité de Desarrollo Campesino). Sie setzt in der Zusammenarbeit mit Fastenaktion besonders auf die Stärkung von Frauen. «Sie haben in der von Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt geprägten Geschichte Guatemalas am meisten gelitten – und tun dies noch immer», sagt Leiria Vay García vom Leitungskomitee der Organisation. «Die Mehrheit der Mädchen ist von klein auf von der Schulbildung ausgeschlossen, weil sie im Haus und auf den Feldern arbeiten müssen. Viele können deswegen weder lesen noch schreiben, was sich sehr negativ auf ihr Leben auswirkt. Sie erlernen dadurch keinen Beruf, kennen ihre Rechte nicht und können sie auch nicht verteidigen. Dies schränkt ihre Teilnahme am sozialen und politischen Leben enorm ein.»
Frauen verbessern Ernährungssicherheit
Bei CODECA hingegen sind Frauen seit 2012 zentral beteiligt am Kampf für strukturelle Veränderungen zur Verteidigung und Ausübung ihrer Rechte. Jeden Tag erreichen sie weitere Frauen in den Gemeinden, bilden sie aus, mobilisieren auf der Strasse, machen die Situation der Frauen sichtbar und fördern ihre politische und gesellschaftliche Teilnahme. Fastenaktion unterstützt die Frauenbewegung von CODECA seit Jahren gezielt. Denn gestärkte Frauen verbessern auch die Ernährungssicherheit und die Zukunftsperspektiven ihrer Familien.
Dem Vater verziehen, Ausbildung nachgeholt
«Das hat mir nicht nur geholfen, die Verletzungen aus der Kindheit und Jugend zu verarbeiten, es hat meine ganze Perspektive auf das Leben verändert und mir so ermöglicht, meinen Platz als Frau in der Gesellschaft zu finden», sagt Marijóse. «Ich bin selbstbewusster geworden und habe viele meiner Ängste verloren. Inzwischen verstehe ich mich sogar gut mit meinem Vater. Dank dem, was ich in den Workshops gelernt habe, konnte ich ihm verzeihen. Heute rede ich entspannt und ohne Ärger mit ihm.» Mittlerweile haben ihre Eltern auch verstanden, dass sich die Zeiten ändern und etwa das mit dem Heiraten nicht mehr so läuft wie bei ihnen früher.
Marijóse wiederum realisierte, dass sie sich auch als Frau beruflich bilden kann. «Ich habe dann im Wochenendunterricht meine Schulbildung nachgeholt, eine Ausbildung als Buchhalterin gemacht und studiere aktuell Betriebswirtschaft. Daneben arbeite ich als Weberin, kann mir das alles dadurch selbst finanzieren – und bin meine eigene Chefin.» Ihr Ziel ist, später ein eigenes Unternehmen zu gründen und anderen Arbeit zu geben. Auch bei der Asociación Qajb’al Q’ij engagiert sie sich weiterhin, als Buchhalterin und Koordinatorin der Bildungsangebote für ganz Mittelamerika.

Marijóse mit zwei Teilnehmenden eines Workshops von Qajb’al Q’ij.
Andere Jugendliche stärken
Heute geht es ihr so gut, dass sie diese Entwicklung auch anderen jungen Menschen ermöglichen möchte. Dabei sind die Workshops von Qajb’al Q’ij entscheidend. Sie lernen dort nicht nur, wie sie einen Job finden, ein eigenes Unternehmen gründen oder ein Handwerk erlernen und vermarkten können, sie werden auch dazu motiviert, sich kommunalpolitisch zu engagieren.
«Besonders die Mädchen verändern sich dabei stark», sagt Marijóse. «Sie sind nicht mehr so traurig, unsicher oder schüchtern, sondern offen, solidarisch und fordern selbstbewusst ihren Platz ein.» Dies weckt Hoffnung auf ein besseres Guatemala, in dem alle am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können.