
Eine solche reiche Maisernte ist in Kolumbien leider nicht selbstverständlich.
Auf den ersten Blick wirkt Kolumbien wie ein Land ohne Ernährungsprobleme. Wer durchs Land fährt, taucht ein in üppige Täler, zieht vorbei an endlosen Kaffeeplantagen, Yucca-Feldern und Bananenhainen. Fruchtbare Böden, tropische Vielfalt und verschiedene Klimazonen scheinen im Überfluss zu bieten, was eine sichere Ernährung ermöglicht.
Die Realität ist jedoch eine andere: Rund 15 Millionen Menschen – ein Viertel der Bevölkerung – leiden laut der Welternährungsorganisation FAO unter Ernährungsunsicherheit (siehe Box unten). Auf dem Land trifft es vor allem Frauen, absolut gesehen ist das Problem in den Städten jedoch grösser; allein in Bogotá sind etwa eine Million betroffen.
Verantwortlich dafür ist eine unheilvolle Mischung aus Armut, Gewalt, Ungleichheit und Ausgrenzung. Wenige besitzen fast alles. Der Zugang zu Land ist für viele ein unerfüllbarer Traum. Wer arm ist, dem fehlen oft auch die Mittel, selbst genügend gesunde Lebensmittel anzubauen, mit denen sich die Familie ernähren lässt. Diese Ungleichheit hat historische Wurzeln, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen. Dass sich an diese Ungleichheit seither kaum etwas geändert hat, ist ein wesentlicher Grund für die gewaltsamen Konflikte, die seit Jahrzehnten immer wieder aufflammen: Kleinbauern werden vertrieben, Felder geplündert oder niedergebrannt, Ernten gehen verloren, Lieferketten reissen ab.
Der Hunger bleibt weltweit ein grosses Problem
Der neuste Ernährungsbericht der Welternährungsorganisation FAO zeigt ein gemischtes Bild: Zwar ist der Hunger weltweit leicht zurückgegangen, aber die Fortschritte sind ungleich verteilt. Rund 8,2 Prozent der Weltbevölkerung litten 2024 unter Hunger, das sind etwa 673 Millionen Menschen. Fast die Hälfte davon leben in Afrika, wo jeder fünfte Mensch betroffen ist. Auch in Westasien nimmt der Hunger zu. Deutliche Verbesserungen gab es in Südasien und Lateinamerika. Der FAO-Bericht zeigt, wie gross die Herausforderung bleibt, das nachhaltige Entwicklungsziel «Kein Hunger» bis 2030 zu erreichen.
Traditionelles Saatgut sichert Unabhängigkeit
Fastenaktion und ihre Partnerorganisationen in Kolumbien geben Gegensteuer und unterstützen insbesondere die ländliche Bevölkerung. Ein zentraler Ansatz ist die Agrarökologie. Diese fördert vielfältige ressourcenschonende Anbaumethoden, nutzt lokales Wissen und trägt so dazu bei, den Hunger zu reduzieren und die Selbstbestimmung der kleinbäuerlichen Familien zu stärken. Ziel ist ein nachhaltiges Ernährungssystem, das sowohl Umwelt als auch lokale Gemeinschaften schützt.
Im Departement Tolima im Südwesten Kolumbiens zeigt sich die Wirkung dieser Arbeit. Hier leben die Pijaos, ein indigenes Volk, das sich über Generationen hinweg gegen die spanische Kolonisierung behauptet hat. Heute gehe es nicht mehr um bewaffneten Widerstand, erklärt Fernando Castrillón von Grupo Semillas, einer Partnerorganisation von Fastenaktion, sondern um das Überleben auf andere Weise – durch den Schutz von Land, traditionellem Saatgut und Ernährung. «Traditionelles Saatgut sichert Ernährung, Kultur und Unabhängigkeit», sagt er. In einer Zeit, in der globale Märkte dominierten und klimatische Unsicherheiten zunähmen, sei die Verwurzelung in lokaler Nahrungskultur ein aktiver Beitrag gegen Hunger.

Auf Feldern installierte Solarpanele sorgen für eine stetige Verfügbarkeit sauberer Energie.
Fischteiche und Solarpanele
Doch Saatgut allein reicht nicht. Bei den indigenen Gemeinschaften in Tamirco ist die Fischzucht zu einer wichtigen Nahrungs- und Einkommensquelle geworden. Vor fünf Jahren installierte Grupo Semillas dort mit Unterstützung von internationalen Partnern Solarpanele.
Seither transportieren mit Sonnenenergie betriebene Pumpen Wasser aus Zisternen und unterirdischen Quellen zu Gemüsefeldern, Gärten und Fischteichen – die Solarpanele ermöglichen ausserdem die Kühlung und Lagerung der gefangenen Fische. So verbindet das Projekt erneuerbare Energie mit agrarökologischen Prinzipien, stärkt die Ernährungssicherheit und auch den Fortbestand der lokalen Kultur.
2024 verabschiedete Kolumbien erstmals eine nationale Agrarökologie-Strategie, um nachhaltige Kleinbauernwirtschaft, Ernährungssouveränität und Klimaschutz zu stärken. Auch die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt diesen Ansatz, unter anderem durch die Finanzierung einer Allianz für Ernährungssicherheit, in der sechs Schweizer NGOs zusammenarbeiten – darunter auch Fastenaktion.
Weiterhin grosse Herausforderungen
Trotz dieser Fortschritte steht die ländliche Bevölkerung in Kolumbien vor gewaltigen Hürden: Ihr Zugang zu Land ist knapp, weil grosse Flächen von ausländischen Konzernen kontrolliert oder zum illegalen Anbau von Pflanzen für den Drogenhandel genutzt werden. Zudem belastet jahrzehntelanger Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln Böden und Gewässer. Die Umstellung auf nachhaltige Anbaumethoden erfordert Zeit, Wissen und Investitionen, die vielen Gemeinschaften fehlen. Absatzmärkte sind oft weit entfernt, Transportwege beschwerlich, und die staatliche Unterstützung bleibt gering. Wegen besseren Verdienstmöglichkeiten zieht es ausserdem viele junge Menschen in den Drogenhandel – oder weg aus der Region in grössere Städte.
Agrarökologie allein kann die Ernährungsprobleme Kolumbiens nicht lösen. Aber sie reduziert Hunger und eröffnet Wege, die über reine Landwirtschaft hinausweisen: Sie ist zudem eine politische Kraft hin zu mehr ökologischer Widerstandsfähigkeit, mehr Gerechtigkeit und stärkerer kultureller Selbstbestimmung.