Sicherheitslage in Haiti

«Manchmal verzichte ich auf Besuche, weil es zu gefährlich ist»

25.01.2024

Trotz der teils prekären Sicherheitslage in Haiti ist Fastenaktion dort weiterhin im Einsatz. Die Projektarbeit sei gerade deswegen besonders wertvoll, sagt unser lokaler Koordinator vor Ort.

Ein Interview mit J. V.*, Koordinator in Haiti bei Fastenaktion
Text: Ralf Kaminski, Redaktor bei Fastenaktion

Wie kommen die Projekte von Fastenaktion auf Haiti voran?

So weit gut. Mit den agrarökologischen Techniken und den Solidaritätsgruppen stärken wir die Ernährungssicherheit, die finanzielle Situation und das Selbstbewusstsein der dörflichen Gemeinschaften. Davon profitieren insgesamt mehr als 20 000 Menschen. Das funktioniert aber nur, weil die Sicherheitslage in den ländlichen Gebieten noch einigermassen okay ist.

Das ist sie sonst nicht?

Nein. Seit ich 2019 mitten in einer politischen Krise mit dieser Arbeit begonnen habe, ist es eher schlechter geworden.

Was sind die Ursachen dieser Krise?

Die aktuelle begann mit einem Volksaufstand gegen die korrupte Regierung. Doch inzwischen haben schwer bewaffnete Banden die Demonstrationen gestoppt und überziehen den Grossraum Port-au-Prince ungestört mit ihrem Terror, was ernste Folgen für die Mobilität hat.

Zum Beispiel?

Man sollte die Stadt nicht verlassen, ohne die aktuelle Sicherheitslage am Zielort und auf dem Weg dorthin abzuklären. Ich halte mich über diverse WhatsApp-Gruppen auf dem Laufenden, telefoniere mit Leuten vor Ort, höre Radio. Und es kommt immer wieder vor, dass ich auf Besuche verzichte, weil die Lage zu gefährlich ist. Oft ist die Lösung, eine Teilstrecke zu fliegen und dann mit dem Auto weiterzufahren.

Was tun denn diese Banden?

Sie errichten Strassenblockaden und fordern Geld für die Weiterfahrt. Es kommt auch regelmässig zu Entführungen, 2023 gab es allein bis September mehr als 900, wobei 63 Ausländer:innen betrafen. Darüber hinaus plündern die Banden ganze Stadtviertel und verjagen deren Bewohner:innen. Zehntausende wurden so schon vertrieben.

Eine Bäuerin bewirtschaftet ihr agrarökologisches Feld.
Die meisten Fastenaktion-Projekte in Haiti befinden sich in ländlichen Regionen. Dort ist die Sicherheitslage weniger angespannt.

Ist auch der Zugang zu unseren Projekten beeinträchtigt?

Die meisten befinden sich in ungefährlicheren ländlichen Regionen. Aber zwei Partnerorganisationen im Departement Artibonite habe ich aus Sicherheitsgründen schon seit zwei Jahren nicht besucht. Doch diese Krisensituation macht unsere Arbeit umso wertvoller: Die Agrarökologie hilft den Menschen, die benötigten Nahrungsmittel selbst anzubauen. Und die Solidaritätsgruppen geben ihnen Zugang zu Kleinkrediten. Schwierig hingegen sind alle Aktivitäten, die einen funktionierenden Staat voraussetzen.

Es sollen nun ein Jahr lang 1000 ausländische Polizisten unter Uno-Aufsicht beim Kampf gegen die Banden helfen. Wird das etwas ändern?

Die letzte vergleichbare Mission endete vor fünf Jahren und brachte offensichtlich nicht viel. Entsprechend skeptisch ist die Bevölkerung. Klar ist: Die bewaffnete Unterstützung ist nötig, Haiti hat keine Armee und weniger als 10 000 Polizisten auf 12 Millionen Einwohner:innen.

Die Lage in Haiti ist seit Jahrzehnten schwierig, wo liegt das Problem?

Der schwache Staat ist eine Folge von historischen Entwicklungen und fehlenden Strukturen. Die korrupte Elite presst Haiti aus wie eine Zitrone und zeigt kein Interesse, ihren Nachkommen ein funktionierendes Land zu hinterlassen. Und die Geberländer sorgen sich stets, dass die Lage komplett ausser Kontrolle gerät, weshalb sie selbst sehr korrupte Regierungen stützen. Ein grosses Problem ist zudem der Braindrain: Über 80 Prozent der Haitianer:innen mit Uni-Abschluss leben im Ausland.

*Aufgrund der angespannten Sicherheitslage in Haiti verzichten wir auf eine namentliche Nennung.

Agrarökologischer Anbau ermöglicht eine unabhängige Nahrungsmittelversorgung.
Dank agrarökologischer Techniken können Bäuerinnen und Bauern unabhängig Nahrungsmittel anbauen.

In Haiti setzen multiple Krisen der Bevölkerung zu. Die Ernährung von mehr als 3,6 Millionen Menschen ist gefährdet. Erfahren Sie hier mehr über unsere wirksamen Projekte im Land.

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